Konversion von Komplexeinrichtungen entscheidend voranbringen I - Ein Gesamtkonzept für alle vorlegen
Antrag der Abgeordneten Martin Hagen, Julika Sandt, Alexander Muthmann, Matthias Fischbach und Fraktion (FDP)
Der Landtag wolle beschließen:
Die Staatsregierung wird aufgefordert, unter Beteiligung der betroffenen Akteure ein Gesamtkonzept zur Konversion von sog. "Komplexeinrichtungen" - also der notwendigen Umwandlung großer Behinderteneinrichtungen - zu erarbeiten. Die fachlichen und inhaltlichen Zielvorgaben und Umsetzungsschritte sind dabei in einem Zeitplan zu definieren.
Bei der Erstellung des Gesamtkonzepts soll unter anderem auf folgende Punkte eingegangen werden:
- Einbeziehung von Einrichtungen für Menschen mit seelischen Behinderungen in den Prozess der Konversion von Komplexeinrichtungen
- Ansätze zur Konversion auch von Einrichtungen, die weniger als 100 Bewohnerinnen und Bewohner haben aber durchaus als Komplexeinrichtung angesehen werden können.
- Etablierung einer sozialraumorientierten Planung unter Einbeziehung aller Stakeholder (Bürgerinnen und Bürger, Sport und Freizeitangebote, ärztliche Versorgung, ehrenamtliches Engagement sowohl für die Bewohner als auch für Externe usw. mitdenken)
- Entwicklung von Ansätzen, wie bestehende Einrichtungen nicht nur dezentralisiert werden können, sondern auch zukunftsfähig zu inklusiven Lebensräumen für Menschen mit und ohne Behinderung umgestaltet werden können.
Darüber hinaus wird die Staatsregierung dazu aufgefordert, eine Fachstelle einzurichten, die den Prozess der Konversion begleitet. Diese soll vor allem Beratung, Koordination und Unterstützung der beteiligten und betroffenen Parteien - beispielsweise der Bewohner, Anwohner, Kommunen und Vereine vor Ort - anbieten.
Begründung
Komplexeinrichtungen sind große Einrichtungen der Behindertenhilfe mit einem umfassenden Arbeits-, Betreuungs- und Wohnungsangebot für Menschen mit Behinderung. Sie befinden sich i. d. R. an Standorten außerhalb der Gemeinden und stellen dadurch eine gesonderte geschlossene Lebenswelt für Menschen mit Behinderungen dar. Dies widerstrebt dem Gedanken der Teilhabe und Inklusion und ist vielmehr eine Betreuung von Menschen mit Behinderung in exklusivem Umfeld. Um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung zum Standard zu machen, wird in vielen Bundesländern der Gedanke der sog. Konversion oder auch Umwandlung verfolgt. Grundgedanke der Umwandlung ist es, an diesen zentralen Standorten stationäre Plätze abzubauen und dezentrale Wohnmöglichkeiten in den Gemeinden aufzubauen. Dabei geht es nicht darum, die Komplexeinrichtungen insgesamt in Frage zu stellen. Auch weiterhin können in den bisherigen Komplexeinrichtungen Wohnplätze vorhanden sein, diese sollten aber auch für Menschen ohne Behinderung geöffnet werden, damit ein Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung auch an diesen Standorten möglich ist. Ziel ist es, dass Menschen mit Behinderungen eine echte Wahlmöglichkeit haben.
In einer Anhörung am 28.01.2021 im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Familie und Jugend des Bayerischen Landtags zum Thema "Konversion von Komplexeinrichtungen" äußerten die anwesenden Sachverständigen den Wunsch nach der Erstellung eines Gesamtkonzepts für den Prozess der Konversion. Vor allem die Einbeziehung aller am Prozess beteiligten und vom Prozess betroffenen Personen, Vereine, Verbände sowie Verwaltungsebenen ist besonders wichtig. Ein inklusiver Raum für Menschen mit und ohne Behinderung kann nur dann geschaffen werden, wenn alle Akteure beteiligt werden. Es nützt nichts, wenn zwar große Komplexeinrichtungen dezentralisiert werden aber die dort wohnenden Menschen vom restlichen Geschehen innerhalb der Kommunen ausgeschlossen sind. Die Konversion der Komplexeinrichtungen ist erst dann abgeschlossen, wenn Menschen mit und ohne Behinderung im selben Laden einkaufen, sich im selben Verein für Naturschutz engagieren oder sich im selben politischen Gremium für eine lebenswerte Kommune einsetzen.
Ein hierfür entwickeltes Gesamtkonzept muss also alle Akteure einbeziehen und zusammen mit ihnen den Prozess der Konversion gestalten. Dies soll dazu führen, dass die Konversion nicht mehr als eine reine Dezentralisierung verstanden wird, sondern darüber hinaus auch weitere Aspekte berücksichtigt und vor allem auch definiert, was mit den bestehenden Standorten geschieht. Eine Entwicklung dieser hin zu inklusiven Räumen, in denen Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam leben, kann ebenso als eine Konversion verstanden werden, wie eine Dezentralisierung und Umsiedlung in Städte und Kommunen.
Die Träger, Kommunen und weiteren Beteiligten sollen bei diesem Prozess aber nicht allein gelassen werden. Vielmehr soll eine neu geschaffene Fachstelle diesen Prozess begleiten und die Beteiligten beraten und unterstützen sowie den Prozess koordinieren. Es handelt sich bei der Konversion von Komplexeinrichtungen um einen jahrelangen Transformationsprozess. Er darf nicht daran scheitern, dass die beteiligten Akteure mit dieser langfristigen Aufgabe überfordert sind.