Hagen im Interview: Haben gekämpft bis zum Schluss

Bayerns FDP-Landesvorsitzender Martin Hagen im Interview der Abendzeitung München. Ein Gespräch über „populistisches Geheule“ im Landtagswahlkampf, die Lage der FDP in Bund und Bayern und seine Pläne für den kommenden Landesparteitag.

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FDP-Bayern-Chef Martin Hagen im Interview der Abendzeitung München.

Abendzeitung München: Herr Hagen, wann war Ihnen klar, dass die FDP den Wiedereinzug in den Bayerischen Landtag nicht schafft?

Martin Hagen: Definitiv klar war es am Wahlsonntag um 18 Uhr, aber ganz überraschend kam das Ergebnis nicht. Angesichts der Umfragen in den Wochen davor war schon klar, dass es eines kleinen Wunders bedurft hätte, damit die FDP über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Trotzdem haben wir gekämpft bis zum Schluss.

Wie ging es Ihnen an jenem Wahlsonntag um 18 Uhr?

Ich war niedergeschlagen. Es war ein bitterer Wahlabend für die FDP. Wir haben unser Ziel, zum ersten Mal seit 1978 einen Wiedereinzug in den Bayerischen Landtag zu schaffen, verfehlt. Ich habe direkt auf der Wahlveranstaltung erklärt, dass ich als Spitzenkandidat die Verantwortung für diese Niederlage übernehme. Was mich in den Stunden und Tagen danach sehr bewegt hat, waren die vielen aufmunternden Worte und Zuschriften aus meiner Partei. Dem Landesvorstand habe ich am Montagabend nach der Wahl meinen Rücktritt angeboten – er hat das aber einmütig abgelehnt und mich gebeten, weiterzumachen.

Gab's auch aufmunternde Worte von Bundespartei-Chef Christian Lindner?

Ja. Wir wissen alle, dass die FDP bundesweit gerade in einer schwierigen Phase ist und dass sich das auch auf die Bundesländer niederschlägt. So ein Tal durchschreitet man als Partei gemeinsam.

Was war Ihrer Meinung nach die Ursache für das Scheitern in Bayern und die Zitterpartie in Hessen, wo die FDP gerade so auf fünf Prozent kam?

Wir haben es weder in Bayern noch in Hessen geschafft, uns vom bundesweiten Negativ-Trend abzukoppeln. Die Ampel hat aktuell nicht das Vertrauen der Bevölkerung. Dass die FDP regelmäßig Schlimmeres verhindert, wurde von den Wählern nicht honoriert. Stattdessen nimmt man uns in Mithaftung für das Gesamtbild, das die Bundesregierung abgibt. Und das muss in Zukunft einfach besser werden. Die Menschen erwarten eine Politik, die mehr tut, um den wirtschaftlichen Wohlstand zu sichern, und sich dafür weniger in ihr Leben einmischt.

Warum hat es nicht geklappt, im Wahlkampf mehr landespolitische Akzente zu setzen?

Wir haben versucht, über Bildung zu sprechen, über den Lehrermangel und unsere Ideen für ein freiheitlicheres Schulsystem. Oder über die bayerische Wirtschaftspolitik, über Fachkräfte und bezahlbare Energie. Aber letztlich hat sich der Wahlkampf um andere Dinge gedreht. Insofern ist die Strategie von CSU und Freien Wählern aufgegangen, von ihrer dürftigen landespolitischen Bilanz so gut es geht abzulenken.

Haben Sie selbst Fehler gemacht?

Natürlich. Warum es uns nicht gelungen ist, mit unseren landespolitischen Themen durchzudringen, müssen wir selbstkritisch analysieren. Auch mit Blick auf die Zukunft müssen wir überlegen: Wie kann man als seriöse und sachorientierte Kraft punkten, wenn andere Parteien die Debatte mit populistischem Geheule dominieren? Daran sind wir ja im Landtagswahlkampf gescheitert.

Ist diese Erkenntnis der Grund dafür, dass Sie zum Schluss einen härteren Kurs in Migrationsfragen gefahren sind?

In dieser Frage waren wir ja immer klar positioniert. Die Kommunen sind mit ihren Aufnahmekapazitäten am Limit. Die Akzeptanz der Bevölkerung für diesen Zustrom von Flüchtlingen schwindet. Deshalb muss die Politik dieses Problem dringend in den Griff kriegen. Es ist einer der Gründe für die allgemeine Unzufriedenheit, dass die Bürger bisher nicht das Gefühl haben, dass das gelingt. Die FDP hat Vorschläge für eine Eindämmung der irregulären Migration gemacht, denen sich unsere Koalitionspartner jetzt hoffentlich anschließen.

Sie haben 40.000 Stimmen an die AfD verloren und 50.000 an die Freien Wähler, die Sie im Wahlkampf zu Ihren Hauptgegnern erklärt hatten. Was schmerzt mehr?

Dass die AfD im kommenden Landtag Oppositionsführerin sein wird, dass Sie künftig als erste nach der Regierung das Wort ergreifen darf, in mehreren Ausschüssen den Vorsitz führen wird – das schmerzt besonders. Das wird der politischen Kultur im Parlament nicht guttun.

Wie erklären Sie sich, dass die Rechtspopulisten auch in Bayern einen derartigen Zuspruch haben?

Mit seinem destruktiven Ampel-Bashing und dem Gerede über angeblichen Genderzwang und anderen Humbug hat Markus Söder offensichtlich nicht die CSU gestärkt, sondern die zwei Parteien rechts von ihr. Insofern muss er sich fragen, ob das die richtige Strategie war.

Nun verhandelt eine geschwächte CSU mit gestärkten Freien Wählern über einen Koalitionsvertrag. Was erwarten Sie von dieser Neuauflage von Schwarz-Orange?

Inhaltlich nicht viel. Beide Parteien hatten sehr ambitionslose Wahlprogramme, die im Grunde auf ein Weiter-so hinauslaufen. Bemerkenswert finde ich, dass die CSU den Freien Wählern im Koalitionsvertrag jetzt ein schriftliches Bekenntnis zur Demokratie abverlangt. Dass so etwas notwendig erscheint, dass so etwas keine Selbstverständlichkeit ist, wäre vor Kurzem unvorstellbar gewesen.

Hubert Aiwanger will wieder stellvertretender Ministerpräsident werden. Was halten Sie davon?

Als liberaler Bürger dieses Landes fühle ich mich von einem Vize-Ministerpräsidenten Aiwanger nicht gut vertreten. Ich finde auch nicht, dass er in den letzten fünf Jahren ein guter Wirtschaftsminister war – genau so wenig wie Michael Piazolo ein guter Kultusminister. Aber Markus Söder hat die CSU auf Gedeih und Verderb an die Freien Wähler gekettet. Jetzt muss er mit ihnen eben auch eine Regierung bilden und schauen, wie er Bayern in Zukunft erfolgreich regiert.

Apropos Zukunft: Am 11. November ist Landesparteitag der FDP. Werden Sie sich erneut als Vorsitzender zur Wahl stellen?

Wenn ich als Landesvorsitzender einen Beitrag zum Wiederaufstieg der FDP leisten kann, tue ich das gerne – aber nicht allein, sondern im Team mit einer weiteren Bewerberin. Mein Vorschlag ist, dass wir als erster FDP-Landesverband in Deutschland eine Doppelspitze wählen.

Wie wird diese „weitere Bewerberin“ denn heißen?

Wir haben vereinbart, dass wir unsere gemeinsame Kandidatur am kommenden Montag bekannt geben.

Sie heißt nicht zufällig Seehofer mit Nachnamen?

Nein. Aber Susanne Seehofer hat als relativ junges Parteimitglied einen fantastischen Wahlkampf geführt und ein herausragendes persönliches Ergebnis erzielt. Ich wünsche mir, dass sie künftig eine noch größere Rolle in der Partei spielt.

Was erhoffen Sie sich von einer Doppelspitze?

Ich glaube, es ist vernünftig, sich in dieser neuen Situation personell breiter aufzustellen – auch mit Blick auf die verschiedenen Rollen, die wir jetzt haben: Im Land sind wir außerparlamentarische Opposition, im Bund Regierungspartei. Das sollte sich auch an der Spitze abbilden. Außerdem wollen wir die Vielfalt in unserer Partei nach außen sichtbarer machen. Wir haben viele tolle, kompetente Frauen in der Partei – die gehören in die erste Reihe!

Wie wollen Sie denn dafür sorgen, dass die FDP im Freistaat in den kommenden fünf Jahren nicht von der Bildfläche verschwindet?

Wir haben ja Erfahrung mit dieser Situation. Die FDP war in den letzten Jahrzehnten in Bayern häufiger außerparlamentarisch als parlamentarisch. 2013 bis 2017 hatten wir sogar eine Phase, während der wir weder im Landtag noch im Bundestag waren. Das ist jetzt zum Glück anders, wir sind als bundespolitische Kraft wahrnehmbar. In Bayern wird es ohne Fraktion natürlich schwieriger, sich ins Gespräch zu bringen. Aber das ist auch einer der Gründe, warum ich wieder für den Landesvorsitz kandidiere: Ich möchte als landespolitisches Gesicht der bayerischen FDP präsent bleiben. Ich möchte das, was wir in den letzten fünf Jahren im Landtag an Know-how, an Kontakten und an Bekanntheit aufgebaut haben, weiter nutzen und pflegen. Damit wir bei der Landtagswahl 2028 nicht wieder bei null anfangen müssen.

Bevor die FDP 2018 in den Landtag eingezogen ist, waren Sie selbstständiger Strategie- und Kommunikationsberater. Haben Sie sich nun – nach der Wahl-Schlappe – schon nach neuen Kunden umgesehen?

Tatsächlich haben mich schon in den ersten 48 Stunden nach der Wahl Angebote und E-Mails potenzieller Geschäftspartner erreicht. Aber ich gehe das langsam an. Erstens habe ich nach dem langen und intensiven Wahlkampf einiges nachzuholen, was meine Familie angeht. Zweitens fällt mir die unschöne Aufgabe zu, die FDP-Landtagsfraktion zu liquidieren – ein schreckliches Wort.

Das was bedeutet?

Es geht darum, die Fraktion abzuwickeln – also laufende Geschäfte zu beenden, Vermögenswerte aufzulösen, Verbindlichkeiten zu bedienen. Das werde ich sauber zu Ende bringen und daneben noch die scheidenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Jobsuche unterstützen, bevor ich mich meiner eigenen beruflichen Zukunft widme.

Hier das Interview in der Ausgabe der Abendzeitung München